1998 prophezeite Bill Gates, dass es bereits im Jahr 2000 keine gedruckten Zeitungen geben werde. Wir alle haben miterlebt, dass sich der Microsoft-Gründer hier getäuscht hat. Und selbst im Oktober 2020 kann man unverdrossen lesen, dass „das klassische Zeitungsmodell keine Zukunft hat“. Um die Jahrtausendwende schien es tatsächlich einige Zeit so, als würde der Fortschritt unaufhaltsam weitergehen und gedruckte Medien gnadenlos vom Markt drängen. Dass es nicht so kam, hat dabei verschiedene Ursachen.
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Die meisten Leser haben sich ein bestimmtes Leseverhalten angeeignet, das sich nicht so einfach ändern lässt. Dazu gehört vielfach die Anmutung von Papier: die Haptik, das Rascheln, der Geruch – all das fehlt bei einer Online-Publikation. Stattdessen ist man auf einen funktionsfähigen Akku angewiesen, muss Sonnenlicht meiden, darf Handy, Tablet, Laptop oder E-Reader nicht achtlos herumliegen lassen.
Aber kann denn eine digitale Ausgabe die Print-Version vollständig ersetzen? Müssen sich nicht beide ergänzen? Kurz gesagt: nein und ja. In den meisten Fällen ist heute der Digitalbereich ein Anhängsel der gedruckten Ausgabe, wo die Beiträge des Print-Bereiches in digitaler Form wiedergekäut werden. Aber hier laufen Verlage Gefahr, dass Online Print kannibalisiert – oder in Ausnahmefällen auch umgekehrt.
Gegenseitige Ergänzung ist jedoch leichter gesagt als getan, denn einer der wesentlichen Vorteile digitaler Inhalte ist der günstigere Preis. Einmal davon abgesehen, dass auch die digitale Ausstattung und Wartung nicht zum Nulltarif zu haben ist, resultiert der günstige Preis in erster Linie aus der beschriebenen Resteverwertung des teuren Printbereiches. Damit jedoch eine gegenseitige Ergänzung gelingen kann, bedürfte es einer eigenen Online-Redaktion – was den Preis nach oben treiben würde.
Es gibt Themen, die sich besser digital darstellen lassen – aber die Möglichkeiten müssen genutzt werden. Es ist eben nicht mit der Zweitverwertung von Texten getan, sondern online müssen starke, aussagekräftige Bilder her, Grafiken, interaktive Elemente – was jedoch auf keinen Fall geht, das sind unsägliche Zusammenfassungen am Anfang oder Ende, damit sich der Leser noch nicht einmal die Mühe machen muss, den – immerhin selbst angeklickten – Text zu lesen.
Wer bestimmt aber, was sich durchsetzt auf dem Markt? Einerseits Verlage und Verleger über das Angebot, andererseits der Leser über das Konsumverhalten. Und in letzter Konsequenz geht es ums Geld. Eine Online-Produktion ist nicht zum Nulltarif zu bekommen, wenn man nicht lediglich Print-Beiträge wiederverwerten will. Aber zweifellos ist die Finanzierung eines gedruckten Mediums, sei es Zeitung, Zeitschrift oder Fachpublikation, aufgrund der Druck- und Auslieferungskosten deutlich teurer.
Allerdings muss auch ganz klar gesagt werden, dass das Postulat eines „werbefreien“ Journalismus nicht ehrlich und auch nicht ernst zu nehmen ist, wenn dieser durch verstecktes Sponsoring durch eine Großbrauerei oder einen Stromerzeuger finanziert wird. Das mag zur Finanzierung beitragen, ist aber weder ein Vorbild noch ein Geschäftsmodell. Somit ist es für die allermeisten gedruckten Titel unerlässlich, sich über Werbeeinnahmen (mit)zufinanzieren. Das funktioniert online in ähnlicher Form, beides ist jedoch stark von der wirtschaftlichen Lage abhängig.
Daher greifen viele Publikationen im Netz darauf zurück, ihre Inhalte hinter einer Bezahlschranke zu verbergen – ob dann pro Artikel bezahlt wird, monatlich für eine bestimmte Anzahl an Beiträgen oder einmal für alle Inhalte, spielt dabei keine Rolle. Außer der New York Times gibt es wohl keine Publikation, die mit reinem Online-Content wirklich Geld verdient. Und hier kommen die entscheidenden Merkmale zusammen: Die NYT liefert höchste Qualität, bietet exklusiven Online-Content und Inhalte, die nicht an anderer Stelle kostenlos im Netz zu finden sind. Entscheidend ist vielmehr, dass der Leser nur bereit ist, für Inhalte zu bezahlen, die er nicht woanders (kostenlos) findet. Es müssen exklusive Inhalte sein, keine Zweitverwertung. Denn sobald es kostenfrei zu haben ist, bezahlen wir nicht mehr gerne dafür – der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier.
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